„Dritte Orte“: Wie gelingt das Querdenken im Krankenhaus?
Im Interview:
Dr. Bernhard Krusche
Denken Sie schon lange, dass sich bei Ihnen im OP etwas ändern sollte? Und wundern Sie sich, warum es so schwierig ist, im Krankenhaus Innovationen durchzusetzen? Unser heutiger Interview-Partner Dr. Bernhard Krusche kennt sich mit genau diesem Thema aus und man darf ihn zu Recht als Querdenker bezeichnen.
Nach dem Studium der Ethnologie und Psychologie sowie längerer Feldforschung in Westafrika war er Dozent an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg/Breisgau und wechselte anschließend in die Industrie, um dort die Dynamik organisatorischen Wandels aus erster Hand zu erfahren. Er ist Autor mehrerer Fachbücher zu den Themen Führung und Innovation und hat laufende Lehraufträge an mehreren Universitäten zur Frage der Innovationsfähigkeit von Organisationen. Wir sprechen mit Bernhard Krusche über sogenannte „dritte Orte“ und darüber, wie das Querdenken im Krankenhaus gelingen und Veränderungen bewirken kann.
Die Situation in Kliniken ist eine besondere Herausforderung. Auf der einen Seite ist der Druck extrem hoch: Eine Vielzahl von Auflagen, die laufenden Kosteneinsparungen und Leistungsverdichtungen, immer größere Personalfluktuation sowie verkrustete Strukturen bringen viele Führungskräfte und Mitarbeiter an die Grenze des Machbaren. Auf der anderen Seite wachsen die Erwartungen: neue Technologien, die Ansprüche der Patienten – eine ganze Generation wächst heran, die selbstbestimmter arbeiten und sich nicht mit den gegebenen Rahmenbedingungen abfinden will.
In diesem Spannungsfeld bleibt kaum noch Energie, sich auch noch um Zukunftsthemen und Innovationen zu kümmern. Resignation macht sich breit, und ein Teufelskreis entsteht: „Wir haben weder die Zeit noch die Kraft, die Dinge zu ändern, die uns Kraft kosten.“
Aus meiner Sicht ist es das Zusammenspiel aus Wissenschaft, Industrie und Praxis. Unser Anspruch ist es, die aktuellen Erkenntnisse aus dem akademischen Bereich und die neusten Entwicklungen der Industrie für die Bedürfnisse in der Praxis aufzubereiten.
Ich würde hier zwei Ebenen unterscheiden. Wie bei allen gut eingespielten Zusammenhängen wird sich unser Gesundheitssystem auf einer übergeordneten Ebene wohl nur durch eine echte Krise verändern. Und diese Krise ist für mein Empfinden bereits in Sichtweite. Der demografische Wandel verstärkt den Druck auf das System, der eklatante Personalmangel höhlt es von innen aus, demotiviertes Personal resigniert bei der Arbeit, die Stimmen unzufriedener Patienten werden lauter, die Transparenz – und damit Vergleichbarkeit – einzelner Leistungen nimmt zu, die zuständige Politik gerät unter Druck und reagiert darauf mit einer Änderung der Rahmenbedingungen, was wiederum die Krankenkassen dazu bringt, ihre Lobbyarbeit zu überdenken etc. Man kann diese Dynamiken gut am Beispiel der Bankenkrise, der Energiewende oder auch der aktuellen Diskussion um unsere Automobilindustrie studieren. Das sind die großen Räder, die kein Arzt, kein Patient und keine Klinik allein unmittelbar beeinflussen können.
Im Kleinen hingegen geht – sofern man will – doch mehr, als man denkt.
Bei diesem Projekt geht es darum, den Alltag in Kliniken mit kleinen, aber sofort umsetzbaren „Hacks“ zum Wohl aller Beteiligten zu verbessern. Solche „Hacks“ bzw. „Flips“ sind quasi minimalinvasive Eingriffe in die Arbeitsprozesse im Krankenhaus, die von den dort Beschäftigten und Behandelten sowohl gemeinsam entwickelt als auch sofort ausprobiert werden. Kleine, handlungsrelevante Ideen, die den Vorteil haben, sofort in die Tat umgesetzt werden zu können. Man kann Sachen ausprobieren, ohne gleich alles in Frage stellen zu müssen. Durch diese methodisch angeleiteten Alltagsexperimente entsteht Zuversicht – und die Motivation, sich Schritt für Schritt auch an größere Herausforderungen zu wagen.
Ja, genau. Es ist ein moderierter Prozess, außerhalb des laufenden Klinikbetriebs. Erfolgsentscheidend ist dabei der geschützte Raum, in dem neue Ansätze, Veränderungen und Varianten ausprobiert werden können: ohne Angst vor Blamage und ohne das ganze System zu gefährden. Funktionierende Verbesserungen können dann behutsam in die laufenden Routinen eingebaut werden. Im laufenden Hochbetrieb wird es kaum gelingen, neue Ideen zu entwickeln. Genau deshalb ist ein solcher externer Chancenraum so wichtig.
Auch hier kann man auf bereits gemachte Erfahrungen zurückgreifen. In einem solchen „Innovations-Labor“ arbeiten Patienten zusammen mit Mitarbeitern, jenseits von hierarchischen Befangenheiten und starren Abläufen. Wer, wenn nicht die Betroffenen selbst, weiß am besten, was im Argen liegt und wie solche Missstände beseitigt werden können. Oft fehlt es da an gar nicht so viel. Und ab und an ist es sinnvoll, Querdenker von außen einzuladen, gegen die eigene Betriebsblindheit. Aber im Kern geht es darum, die eigenen Ressourcen zu aktivieren. Es geht um die „resourceful humans“ statt nur um „human resources“. Ein Argument wie „Die Chefärztin will das nicht“ ist dort erst mal außen vor. Neue Ideen dürfen in der geschützten Umgebung wachsen und sich beweisen, ohne voreilig von Bedenkenträgern oder alten Strukturen plattgemacht zu werden.
Die Hierarchie ist hier ein Teil des Problems, aber sie ist auch ein Teil der Lösung. In der Regel braucht es einen Entscheider in der obersten Führungsriege, der sich auf ein solches Experiment einlässt und den Segen von oben dazu gibt. Durch so eine Entscheidung entsteht die nötige Schutzzone für Neues. An diesem zeitlich wie auch räumlich klar definierten Ort entstehen neue, kreative Lösungsansätze und Verbesserungsideen. Kurzum: Es bräuchte diesen einen Macher, der sich traut, an einer Klinik ein solches Pilotprojekt in die Welt zu setzen.
Dr. Bernhard Krusche unterstützt Organisationen seit Jahren erfolgreich dabei, nachhaltig und fundiert an ihrer Zukunftsfähigkeit zu arbeiten (Näheres unter https://www.the-innovation-helix.com/uber-uns/).