Was Krankenhäuser brauchen, damit sie erfolgreich geführt werden können

Von Bernhard Krusche

Der Alltag für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher Kliniken ist von zwei wesentlichen Bedingungen bestimmt: immer mehr Arbeit mit immer weniger Ressourcen. Das kann nicht funktionieren. So sinnvoll einzelne Schritte der Verbesserung auch sind: Mit Optimierung allein gibt es hier keine Entwicklung mehr. Es fehlen der Blick auf die strukturellen Rahmenbedingungen sowie Lösungen für die Probleme, die diese Rahmenbedingungen verursachen und nach sich ziehen. Hier ist ein Vorschlag für eine mögliche Lösung.

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Der Ausgangspunkt für eine Lösung dieser Probleme liegt in einer Untersuchung von High Reliability Organizations (HRO) – das sind zum Beispiel Flughafen-Tower, Löschzüge, Atomkraftwerke und Flugzeugträger. All diese Einrichtungen sind darauf angewiesen, ein extrem hohes Leistungsniveau zuverlässig und dauerhaft aufrechtzuerhalten, und zwar in Situationen, in denen jederzeit etwas passieren kann, das nicht der Norm entspricht. Dennoch zeigen die Statistiken, dass in diesen HRO dramatisch weniger Unfälle passieren als in vergleichbaren, aber deutlich entspannteren Situationen. Diese Tatsache hat Forscher dazu bewogen, sich das gesamte Setting einmal näher anzuschauen. Sie haben dabei einige Prinzipien ermittelt, nach denen diese Organisationen funktionieren.

  1. Preoccupation with Failure: Die Menschen in einer HRO sind darauf trainiert, alle Abweichungen vom Plan messerscharf zu registrieren und mitzuteilen. Die Voraussetzung dafür ist eine dichte, vertrauensgestützte Kommunikation, und zwar über sämtliche Hierarchieebenen hinweg. Alle Beteiligten teilen zunächst einmal ungesicherte Einschätzungen miteinander und überprüfen sie dann gemeinsam. Verpönt sind Schuldige, Sündenböcke und Fehlervertuschung.
  2. Commitment to resilience: Hier geht es um Resilienz – gemeint ist damit die Fähigkeit, in überraschenden, meist zeitkritischen Situationen zusätzliche Ressourcen und Leistungspotenziale mobilisieren zu können. Organisationen, die unter dem Diktat von Leistungsverdichtung und Kostendruck ihre Ressourcen soweit ausdünnen, dass sie mit Mühe gerade noch den Normalbetrieb aufrechterhalten können – wie Krankenhäuser! –, sind für überraschende Situationsänderungen und eine andauernde Höchstleistung nicht zu gebrauchen. Interessanterweise geht es nicht unbedingt um zusätzliches Personal oder höhere Budgets, sondern vielmehr um gut eingespielte, netzwerkförmige Abstimmungsprozesse zwischen Experten aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Silodenken, Abteilungsegoismen oder hierarchische Egotrips sind dabei völlig fehl am Platz.
  3. Deference to expertise: Gemeint ist damit die Tendenz von HRO, Entscheidungen dort zu treffen, wo die für den Einzelfall nötigen Informationen gerade liegen. Die Autorität wandert also dorthin, wo die fachliche Expertise ist, die zur Lösung des spezifischen Problems gebraucht wird. Hierarchie ist kein Dauerzustand, sondern wechselt je nach Anforderung der Situation. Damit werden die bestehenden Strukturen natürlich nicht außer Kraft gesetzt – sie weichen im Ernstfall nur auf und geben demjenigen die Autorität, Entscheidungen zu treffen, der am nächsten dran ist und sich am besten auskennt.

Was brauchen Krankenhäuser, um diese Prinzipien anwenden zu können?

Um diese Prinzipien in den Klinikalltag integrieren und dort leben zu können, braucht es aus meiner Sicht zwei Voraussetzungen …

Voraussetzung 1: ein strukturierter Prozess zur Einbindung sämtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das entsprechende Stichwort dafür lautet Co-Creation – dadurch entsteht Verantwortungsübernahme. Denn wann immer sich Mitarbeiter irgendwo einbringen können, wenn also auf sie und ihre Einschätzungen gehört wird, identifizieren sie sich stärker mit dem Unternehmen, für das sie arbeiten. Demotivation begegnet man konsequenterweise mit Beteiligung. Wer also Mitarbeiter will, die nicht nur mit Verstand, sondern auch mit Herz bei der Sache sind, der sollte strukturierte Prozesse installieren, in denen sich die Mitarbeiter mit ihren Ideen einbringen können, sie ausprobieren und gegebenenfalls wieder verwerfen können, an konkreten Lösungsideen arbeiten, die dann auch zumindest probeweise umgesetzt werden. Damit meine ich nicht eine Neuauflage des betrieblichen Vorschlagswesens, sondern einen Prozess, mit dem gezielt Räume geschaffen und moderiert werden, in denen Neues möglich ist.

Voraussetzung 2: die eben erwähnten Räume, sogenannte „Dritte Orte“, die nicht Teil der bestehenden Routinen sind, sich aber auch nicht gänzlich außerhalb der Organisation befinden. Solche „Acceleratoren“, „Hubs“, „Creative Spaces“ oder „Labs“ sind einer der Erfolgsfaktoren großer und daher in der Tendenz eher unbeweglicher Unternehmen mit viel eigener Schwerkraft. Sie sind so etwas wie temporäre FuE-Abteilungen, Einrichtungen, in denen es ausdrücklich erwünscht ist, mit neuen Ideen zu experimentieren, diese zu testen und erste Prototypen davon zu entwickeln – und zwar nicht top-down, sondern bottom-up, also unter Einbezug der Intelligenz der Belegschaft. Die ist nämlich klüger, als man gemeinhin annimmt. So klug, dass sie längst gelernt haben, in kritischen Situationen – wider besserer Fachexpertise – den Mund zu halten, statt sich von jemandem anmachen zu lassen, der immer noch glaubt, dass Macht und Autorität das Gleiche seien.

Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, können Krankenhäuser es schaffen, sich ganz neu aufzustellen und auszurichten. Oder – um die Analogie aufzugreifen, die Josephine Ruppert in ihrem letzten Beitrag gewählt hat: Krankenhäuser können nur dann zu Orten werden, in denen die einen Menschen gerne arbeiten und die anderen schnell gesund werden, wenn das Krankenhaus-Personal gemeinsam weder Rennwagen optimiert noch Teamtechniker ausbildet, sondern endlich damit beginnt, die Rennstrecke selbst zu erneuern.

Bildquelle: pixabay.com

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