Debatte um Leiharbeit
Ist Zeitarbeit schuld am Pflegemangel?
Im Klinikleben ist es einfach: Die anderen sind immer schuld. In diesem Fall: Die Zeitarbeit. Die Hessische Krankenhausgesellschaft (HKG – vertreten durch den Direktor Prof. Steffen Gramminger) sagte der Süddeutschen Zeitung, Leiharbeit sei systemkritisch und man müsse diese eindämmen. So einfach ist das. Oder doch nicht?
- Josephine Ruppert
- Josephine Ruppert
Wenn Sie mich persönlich kennen, dann wissen Sie, wie sehr mir die Menschen in Kliniken – vor allem im OP – am Herzen liegen. Seit 1998 setzen mein Team und ich uns dafür ein, dass der OP wieder zu einem Ort wird, an dem Mitarbeitende Freude und Leidenschaft an ihrer Arbeit haben, Kranke gesund werden und Erlöse erwirtschaftet werden können.
Doch manchmal bin ich müde. Ich bin müde, wenn ich tagtäglich erlebe, dass Kliniken den Schwarzen Peter lediglich verschieben, statt wirkliche Veränderungen zu ermöglichen. Wir helfen unseren Kunden. JA – auch mit Zeitarbeit. Die Lösung ist nicht das Problem und den Schwarzen Peter gebe ich heute wieder an Verantwortliche wie Herrn Prof. Gramminger zurück.
Warum laufen Kliniken die Pflegekräfte weg?
Die Zeitarbeit soll schuld sein. Die Süddeutsche schreibt: „Für Pflegekräfte ist es lukrativ, aber für die Klinken wird es teurer und für die Patienten unruhiger: Leiharbeitsverträge in der Pflege.“ Nicht nur der Hessischen Krankenhausgesellschaft (HKG) sind teure Honorarkräfte ein Dorn im Auge.“ Dazu sagt Prof. Steffen Gramminger, Direktor der Hessischen Krankenhausgesellschaft (HKG): „Wir müssen das eindämmen.“ Die Unterstellung: Kliniken werde durch Personaldienstleister Geld entzogen, das an anderer Stelle gebraucht sei. Dies sei einer der Gründe, warum Kliniken in Not geraten.
Diese Pauschalverurteilung entbehrt allerdings jeglicher Vernunft und wird vielen seriösen und engagierten Personaldienstleistern nicht gerecht. Der DBfK (Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe) hat ein Impulspapier „Arbeitnehmerüberlassung in der Pflege“ erstellt. Darin schreibt er: „Die Einrichtungen, die nun zunehmend auf Leiharbeit zurückgreifen müssen, weil die eigene Personaldecke den Herausforderungen nicht standhält, haben selbst wesentlich zu dieser Entwicklung beigetragen.“ Pflegende suchen in der Zeitarbeit, was ihnen in der bisherigen Festanstellung verwehrt wurde.
Seit Jahren warnen wir bereits vor der Schieflage, die entsteht, wenn es mehr Leihkräfte als festes Personal gibt. Qualität, Prozesse, Kompetenzentwicklung, Leistungsfähigkeit usw. bleiben auf der Strecke, doch die Leihkräfte sind nicht die Ursache dafür. Im gegenseitigen Bewertungsverfahren können auch unsere JR-Pflegekräfte nach jedem Einsatz ihre Einsatzkliniken beurteilen. Das Ergebnis ist erschütternd: 60 Prozent der Kliniken werden im Bezug auf Management, Organisation, Umgang miteinander, Kommunikation als mangelhaft beurteilt. Dort will niemand bleiben. Eine geringe Arbeitgeber-Attraktivität und hohe Fluktuationszahlen gehen Hand in Hand. System-Flucht ist an der Tagesordnung.
Wenn die Lösung zum Problem gemacht wird
Ob Gastronomie, Hotellerie, Industrie oder Dienstleistung: Die Zeitarbeit hat in allen Branchen ihren berechtigten Platz. Sie hilft bei Langzeitkrankheiten, Urlaubszeiten und Schwangerschaften, die Versorgung und den laufenden Betrieb sicherzustellen. Kein Unternehmer echauffiert sich darüber, dass er die Wahlmöglichkeit hat, bei Engpässen personelle Verstärkung einzukaufen.
Leider verspielen viele Kliniken Ihre Möglichkeiten, indem sie bei der Auswahl der Leiharbeitnehmer keine oder nur rudimentäre Anforderungen stellen, das Onboarding nicht begleiten oder die Leiharbeitskräfte sich selbst überlassen. So bleiben viele Potentiale auf der Strecke, die durch eine präzise Anforderung und Einarbeitung möglich wären und die Qualität der Patientenversorgung – auch im Notfall – ermöglichen, sicherstellen und verbessern.
Zeitarbeit ist eine Wahlmöglichkeit. Warum wird diese Option in Kliniken zum Schwarzen Peter gemacht? Weil das Verhältnis zwischen Festangestellten und Leihkräften ungesund ist und die Schuld gerne im Außen gesucht wird. Doch auch wir von JR haben auf diese Frage eine Antwort. Viele unserer JR-Mitarbeitenden lehnen erneute Einsätze in diesen mangelhaften Kliniken ab. Wir haben durchaus auch Bewerber, die ein wirklich hervorragendes Gehalt in ihrer Klinik beziehen und durch die Zeitarbeit ihr Gehalt nicht verbessern können. Trotzdem entscheiden sie sich aufgrund der hohen Frustration und Aussichtslosigkeit, dass sich irgendetwas in naher Zukunft in der Klinik verändert, für die Arbeitnehmerüberlassung. Viele Kliniken ködern neue Bewerber*innen bereits seit Jahren mit hohen Einstiegsprämien, doch diese Vorgehensweise konnte sich nicht als Erfolgsmodell etablieren, so lange die Gründe, zu bleiben, fehlen.
Gründe, um zu bleiben
Wir beobachten seit Jahrzehnten, dass Verantwortliche sich weigern, die eigentlichen Probleme anzugehen und sich ernsthaften Fragen zu stellen:
- Warum laufen uns die Pflegekräfte davon?
- Warum bleiben junge Menschen nicht in dem Beruf?
- Warum sind die Krankheitsquoten so hoch?
- Warum wechseln Menschen freiwillig aus der sicheren Festanstellung in die mental sehr anspruchsvolle Zeitarbeit?
- Was müsste geschehen, damit sich unsere Mitarbeiter mitgenommen fühlen und bleiben?
- Entlasten wir unser Pflegepersonal durch hilfreiche Strukturen und Prozesse?
- Haben wir überzeugende Personalkonzepte?
Wer sich diesen Fragen ernsthaft stellt, wird zwangsläufig zu der Erkenntnis gelangen, dass nicht die Zeitarbeit, sondern das System verändert werden muss. Der DBfK sieht dies ähnlich und schreibt in seinem Impulspapier zur Arbeitnehmerüberlassung: „Pflegefachpersonen in Leiharbeit sind nicht der Auslöser der Probleme, sondern das Ergebnis einer verfehlten Personalstrategie und Entwicklung, die sie nicht verursacht und auch nicht zu verantworten haben.“ Nach akzeptablen Arbeitsbedingungen zu suchen, sei legitim. Die Kliniken, die jetzt am lautesten nach einer Eindämmung der Leiharbeit rufen, seien diejenigen, die oft jahrelang nichts oder zu wenig für die Mitarbeiterbindung im eigenen Unternehmen getan hätten. Es sei fraglich, ob ein Verbot der Leiharbeit Pflegekräfte in ein System zurückdrängen könne, welches zuvor aus stichhaltigen Gründen abgewählt wurde. Der DBfK resümiert: Es führt kein Weg daran vorbei „an der Verpfichtung für Arbeitgeber und Führungskräfte, in ihren Unternehmen aus Sicht von Pflegefachpersonen nachhaltig gute Arbeitsbedingungen zu schaffen.“
Der Verband rät zu folgenden Maßnahmen, um eine ungesunde Abhängigkeit von Leiharbeit zu reduzieren:
- Anhebung Personalbestand inkl. analytische Pflegepersonalbemessung und Berücksichtigung von Ausfallzeiten
- Personalausfall-Management: Pool-Lösungen und vergütete Standby-Systeme
- Mitarbeiterbindung und -entwicklung: Führung, Autonomie, Mitbestimmung, interdisziplinäre Zusammenarbeit, Innovationen etc.
- Nachwuchsbindung: Qualitative und wertschätzende Ausbildung
- Leiharbeitende abwerben, indem man sich als vorbildlicher Arbeitgeber erweist
Unbequeme Wahrheiten
Solche Wahrheiten sind unbequem. So schlägt auch die Gewerkschaft Verdi zusammen mit der HKG in die gleiche Kerbe. Das Thema Leiharbeit sei „ausgesprochen kritisch“, sagt Gewerkschaftssekretärin Hilke Sauthof-Schäfer. „Wir brauchen Festanstellungen in einer ausreichenden Anzahl und mit entsprechender Bezahlung“. Doch ein Zustrom an Mitarbeitern und Geld wird das Problem nicht lösen, solange die Ursachen der Systemflucht nicht behoben werden.
Kliniken kommen nicht weiter, solange sie die Zeitarbeit zum Feind erklären. Dies gelingt stattdessen, wenn sie Probleme an den Wurzeln packen. Wir haben Kunden bei denen es gelingt – und wir sehen Kliniken, die den Kopf in den Sand stecken. Deshalb sind wir nicht müde uns zu wiederholen, bis sich Fakten nicht mehr ignorieren lassen. Wir berichteten unermüdlich und immer wieder, wie das System zu ändern ist:
- Zeitfresser-Studie: Vermeidbare administrative Tätigkeiten kosten Millionen:
Lesen Sie mehr über die 4 nicht wertschöpfenden Tätigkeiten, die Ihre Mitarbeiter frustrieren. - Strategische Zukunftsplanung in der Krise: Corona, Warnstreiks, Ampel-Zoff – droht der Klinik-GAU?
Lesen Sie mehr über die 7 Grundpfeiler für eine verbesserte Mitarbeiterbindung. - Moderne Personalkonzepte – Viel Zeit bleibt kaum: Pflege-Wende bedeutendste Aufgabe neben Klimakrise:
Lesen Sie mehr über die 3 Weichen, die jetzt schon zu stellen sind: Menschen entlasten, Menschen weiterentwickeln, Menschen führen - „Ich pflege wieder, wenn…“: 10 Tipps, um Pflegekräfte wieder für sich zu gewinnen:
Lesen Sie die 10 Voraussetzungen, unter denen resignierte Pflegekräfte zurückkehren würden. - Macht Geld allein glücklich? Facetten der Wertschätzung:
Lesen Sie, wie Sie moralische Verletzungen in der Pflege vermeiden. - Pflexit im OP: Warum hochmotivierte Fachkräfte kündigen:
Lesen Sie im Interview mit Lisa K., warum Leistungsträger keinen anderen Ausweg sehen, als das System zu verlassen. - Eine Frage des Respekts: Ausverkauf der Menschlichkeit – ohne Ethik kein Profit:
Lesen Sie, warum Ethik kein unternehmerischer Luxus, sondern eine wirtschaftliche Notwendigkeit ist.
Sind Sie immer noch nicht überzeugt? Hier finden Sie alle unsere Blogartikel, die Ihnen helfen, das Problem an den Wurzeln zu packen: JR OP-NEWS
Was können Sie persönlich JETZT tun?
Vereinbaren Sie einen Termin mit uns, wenn Sie derselben Meinung sind wie wir und etwas verändern können und möchten. Dann kämpfen wir mit Ihnen zusammen für die Änderung des Systems, damit Pflegekräfte sich gut aufgehoben fühlen, mitgenommen werden und mitgestalten können. Dies ist die Basis, um nicht nur Personal zu halten, sondern auch, um die Wirtschaftlichkeit und Zukunft Ihres Hauses sichern.
Mit unseren Analysen machen wir sehr schnell die Ursachen sichtbar und erschließen Handlungsfelder, die im überschaubaren Zeitrahmen und mit definiertem Budget umsetzbar sind.
Unser Appell: Handeln Sie selbst, wenn Sie die Entscheidungsbefugnis haben. Alternativ: Leiten Sie diesen Blog-Artikel gerne an all diejenigen bei Ihnen im Klinikum weiter, die die Entscheidungsmacht haben und etwas bewirken können.
Ich bin gespannt auf Ihre Reaktion.
Herzliche Grüße
Ihre Josephine Ruppert
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Hinweis zur Sprache: Mit unseren Inhalten sprechen wir alle Menschen (m/w/d) an. Zur besseren Lesbarkeit verzichten wir stellenweise auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen und wechseln diese – sofern möglich und sinnvoll – ab. Danke für Ihr Verständnis.